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Interview mit dem Vorstand

Geschäftsjahr 2023/24

Frau Wittmann, wie haben Sie Ihre ersten Monate im Vorstand der EVN erlebt?


Alexandra Wittmann: Ich bin seit 1. September 2024 als Finanzvorständin für die EVN tätig. Da ich bereits in verschiedenen Industrie- und Technologieunternehmen als CFO tätig war, sind die Themenstellungen bei der EVN für mich nicht neu. Gerade angesichts der großen Veränderungen, die nicht nur unser Unternehmen, sondern die gesamte Energiebranche in den nächsten Jahren durchlaufen wird, freue ich mich sehr auf diese spannende Aufgabe. 


Wir werden in den nächsten Jahren im Schnitt 900 Mio. Euro pro Jahr investieren, das ist mehr als doppelt so viel wie noch im Geschäftsjahr 2020/21. Drei Viertel davon werden in die Netze, die erneuerbare Erzeugung und die Trinkwasserversorgung in Niederösterreich fließen. Die dafür erforderlichen Mittel müssen wir erwirtschaften, und dafür werden wir – zumindest vorübergehend – auch zusätzliches Fremdkapital benötigen. Ich sehe es als eine meiner zentralen Aufgaben, unseren Stakeholdern auf der Eigen- und der Fremdkapitalseite – insbesondere Banken, Ratingagenturen und Aktionär*innen – diese Pläne zu erläutern und sie davon zu überzeugen. 


Die Netze sind der Bereich mit den höchsten Investitionen. Was sind die Gründe dafür?


Stefan Stallinger: Der Investitionsbedarf für unsere Verteilnetzinfrastruktur erreicht tatsächlich historische Dimensionen. In unseren Planungen bis 2030 haben wir mehr als 3 Mrd. Euro allein für Niederösterreich veranschlagt. Mehr als 50 % der österreichischen Stromerzeugung aus Windkraft finden im Netzgebiet der EVN statt, bei Photovoltaik sind es derzeit 25 %. Und in beiden Bereichen wird weiterhin stark ausgebaut. Um die zusätzlichen Strommengen in das Energiesystem integrieren und in die Landesteile mit hoher Stromnachfrage transportieren zu können, müssen wir in die Modernisierung und Errichtung zusätzlicher Umspannwerke sowie in die Erweiterung der Stromleitungskapazitäten investieren. Mit unseren Netzinvestitionen erweitern wir aber nicht nur die Transportkapazität für die zunehmende erneuerbare Stromproduktion, sondern reagieren auch auf geänderte Verbrauchsmuster. Denn die Zunahme der E-Mobilität oder auch die verstärkte Nutzung von Wärmepumpen führen zu Nachfragespitzen, die wir aussteuern müssen. Generell werden die Netze in Zukunft smarter werden, da das Flexibilitätsmanagement an Bedeutung gewinnt, um Lastspitzen auszugleichen. Daher beschränken sich unsere Investitionen im Netzbereich nicht nur auf neue Hardware. Es geht hier auch um Software, intelligente Steuerungssysteme und Digitalisierung. 


Welche Fortschritte gibt es vom Ausbau Ihrer eigenen erneuerbaren Erzeugungskapazitäten zu berichten?


Stallinger: Wir kommen sowohl bei der Windkraft als auch bei der Photovoltaik sehr gut voran. Dabei können wir uns auf eine sehr ausgewogene Pipeline an Projekten stützen, die sich in unterschiedlichen Entwicklungsphasen befinden. Mit Ende des Kalenderjahres 2024 werden wir im Konzern rund 500 MW Windkraftkapazität am Netz haben, damit können wir pro Jahr durchschnittlich 1,4 TWh Strom produzieren. Bei Photovoltaik werden es nach Fertigstellung der in Bau befindlichen Projekte im Lauf des ersten Quartals 2025 bereits mehr als 100 MWp installierte Leistung sein. Zusammenfassend gesagt: Unsere Ausbauziele von 770 MW Windkapazität und 300 MWp Photovoltaikleistung bis 2030 können wir bestätigen.


Wie stehen Sie zu dem Ansatz, dass erneuerbar erzeugter Strom auch zur Dekarbonisierung anderer Sektoren beiträgt?


Stefan Szyszkowitz: Wir sind davon überzeugt, dass der erneuerbaren Energie große sektorübergreifende Bedeutung zukommen wird. Bei der E-Mobilität gehen wir z. B. davon aus, dass sie mittelfristig einen substanziellen Beitrag zur Reduktion der Treibhausgasemissionen leisten wird. Deshalb treiben wir den Ausbau von E-Ladeinfrastruktur federführend voran und gewährleisten natürlich auch entsprechend leistungsfähige Netze. Die EVN ist jetzt schon eine führende Anbieterin von E-Ladestationen, und wir sehen hier vor allem im öffentlichen Raum auch noch großes Potenzial. Denn um die Akzeptanz von E-Mobilität in der Bevölkerung zu steigern, brauchen wir ein breites Angebot an leicht zugänglichen und niederschwelligen Lademöglichkeiten, die sich gut in den Tagesablauf der Kund*innen integrieren lassen. Aus diesem Grund errichten wir z. B. für Supermarktketten auf deren Parkplätzen Ladesäulen. Wir sehen aber auch beim Ladeangebot für Unternehmensflotten sowie für Lkw und Busse – und damit im öffentlichen Nah- und Regionalverkehr – Wachstumsmöglichkeiten.


Auch der Wärmesektor wird sich durch den Einsatz erneuerbarer Energie weiter verändern. Die EVN ist bereits jetzt Österreichs führende Anbieterin von Naturwärme, die aus regional verfügbarer Biomasse produziert wird. Wir erweitern unsere Naturwärme-Angebote auch laufend, indem wir einerseits Fernwärmenetze verdichten und andererseits unsere Erzeugungskapazitäten weiter ausbauen. In St. Pölten errichten wir z. B. aktuell unsere fünfte Biomasse-Kraft-Wärme-Kopplungsanlage. Auch am Energieknoten Theiß verfolgen wir neue, innovative Ansätze. Wir verfügen dort über einen Warmwasserspeicher und eine Power-2-Heat-Anlage. Indem wir diese Anlage mit Überschussstrom aus Sonnenkraft betreiben, können wir Warmwasser produzieren und speichern. Dadurch sparen wir Biomasse für das Winterhalbjahr. In Zukunft wollen wir vermehrt solche Power-2-Heat-Systeme in die Fernwärmeversorgung einbeziehen, da wir dadurch erneuerbar produzierten Strom sektorübergreifend nutzen können.


Welche Möglichkeiten sehen Sie zusätzlich zur Sektorintegration für die Nutzung von erneuerbar produziertem Überschussstrom?


Stallinger: Wir arbeiten z. B. an einem Leuchtturmprojekt im Bereich Großbatteriespeicher. Als Grundlage dient uns eine Pilotanlage, die wir im Geschäftsjahr 2023/24 an unserem Energieknoten Theiß in Betrieb genommen haben. Konkret kombinieren wir die dortige Photovoltaikanlage mit einer 5-MW-Batterie und können damit Überschussstrom wirtschaftlich optimiert im Day-Ahead- oder im Intraday-Markt handeln. Die bisherigen Testergebnisse stimmen uns sehr zuversichtlich. Statt mit Stromproduktion aus Sonnenkraft zu einem Überangebot und damit zu einer Überlastung des Energiesystems beizutragen, verschieben wir die Netzeinspeisung zeitlich. Das ist gut für das Energiesystem insgesamt, aber auch für uns als Unternehmen, weil wir den Strom zu attraktiveren Preisen vermarkten können. Auf Grundlage der Erkenntnisse aus diesem Pilotprojekt haben wir nun ein Geschäftsmodell für einen deutlich größeren Batteriespeicher mit einer Leistung von bis zu 70 MW entwickelt. Dieser Großbatteriespeicher soll – ebenfalls in Theiß – bis Ende 2027 in Betrieb gehen. 


Die EVN verwandelt also Innovationen in markt- und zukunftsfähige Geschäftsmodelle. Was braucht es noch, damit die Transformation des Energiesystems gelingt?


Wittmann: Unsere Organisation muss sich dem Wandel in unserem Umfeld anpassen. Dafür ist die EVN in ihrer Unternehmenskultur auch hervorragend aufgestellt. Denn die mehr als hundertjährige Erfahrung eines Infrastrukturunternehmens, das stets bestrebt war, seinen Kundinnen und Kunden attraktive Lösungen auf der Höhe der Zeit zu bieten, hat natürlich ein enormes Expert*innenwissen generiert. Das hilft uns, agil auf die Veränderungen der Branche zu reagieren und immer wieder neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, die auf die aktuellen Bedürfnisse und Herausforderungen smart eingehen. Umfassende Digitalisierung sowie zukunftsweisende Software- und Steuerungslösungen sind entscheidend, um diese Transformation erfolgreich zu gestalten. Hier sind auch wir als Management gefordert, die erforderlichen Ressourcen bereitzustellen, damit wir den effizienten Einsatz digitaler Anwendungen optimal gewährleisten und weiterentwickeln können. Dies sehe ich als spannendes Thema für den gesamten Konzern in den nächsten Jahren.


Transformation bedeutet dabei auch, die Umsetzung unserer Strategie 2030 voranzutreiben und zu steuern, ohne dabei das Finetuning zu übersehen. Gesellschaft, Politik und Rahmenbedingungen – also unser unmittelbares Umfeld – ändern sich permanent. Indem wir auf diese Veränderungen fein abgestimmt reagieren, stärken wir langfristig die Position der EVN.


Szyszkowitz: Ein konkretes Beispiel zeigt diese Veränderungen sehr gut: Energiegemeinschaften haben zuletzt stark an Bedeutung gewonnen – nicht zuletzt dadurch, dass die Politik gesetzliche Rahmenbedingungen dafür geschaffen hat. Unsere Kundinnen und Kunden werden dadurch immer mehr auch zu aktiven Teilnehmer*innen im Energiesystem, indem sie Photovoltaikstrom erzeugen und diesen auch in ihrem Umfeld vermarkten wollen. Naturgemäß verändert das auch die Rolle der EVN als Energielieferantin. Unser Tochterunternehmen Energie Zukunft Niederösterreich GmbH administriert mit seiner Abrechnungs- und Abwicklungssoftware E.GON aktuell mehr als 20.000 Zählpunkte und ist damit in Europa einer der führenden Service Provider für Energiegemeinschaften.


Österreich und besonders Niederösterreich war im September 2024 von einem dramatischen Hochwasser betroffen, generell häufen sich derartige Ereignisse zunehmend. Wie geht man als Versorgungsunternehmen damit um?


Stallinger: Als Betreiberin kritischer Infrastruktur bereitet sich die EVN sehr gewissenhaft auf Krisensituationen vor. Regelmäßig üben wir in der Praxis, wie wir solche Situationen bestmöglich und im Interesse unserer Stakeholder bewältigen können. Insofern trifft uns das häufigere Auftreten von Extremwetterereignissen nicht unvorbereitet. Wir haben auch die Investitionen zum Schutz unserer Anlagen und Infrastruktur in den letzten Jahrzehnten zielgerichtet erhöht. Zudem sind Prognosemodelle präziser geworden, und moderne Kommunikation hilft uns beim Krisenmanagement. Wenn ich an das Hochwasser Mitte September denke, gilt unser Dank als Vorstand einmal mehr unseren engagierten Kolleginnen und Kollegen, die Außergewöhnliches geleistet haben, um unsere Kund*innen, unsere Mitarbeiter*innen und unsere Anlagen hochprofessionell zu schützen und damit die Versorgung sicher bzw. rasch wiederherzustellen. 


Frau Wittmann, Sie haben eingangs die Aktionär*innen der EVN erwähnt. Mit welcher Dividende dürfen diese für die abgelaufene Geschäftsperiode und die kommenden Jahre rechnen?


Wittmann: Für das Geschäftsjahr 2023/24 werden wir eine Dividende von 0,90 Euro pro Aktie vorschlagen. Damit bestätigen wir auch das im Rahmen unserer Dividendenpolitik abgegebene Versprechen, unsere Aktionär*innen an künftigen Ergebnissteigerungen in angemessener Höhe zu beteiligen. Für die Zukunft gilt unsere Dividendenpolitik unverändert: Wir sehen die Dividende bei jährlich mindestens 0,82 Euro pro Aktie. Gleichzeitig setzen wir auf eine ausgewogene Mittelverwendung, die uns die Umsetzung unserer hohen Investitionen von jährlich etwa 900 Mio. Euro in den nächsten Jahren ermöglicht. Zur Erhaltung unserer finanziellen Flexibilität streben wir weiterhin den Erhalt unserer Ratings im soliden A-Bereich an.


Wie sehen Ihre Ziele – oder vielleicht auch Wünsche – für das Jahr 2025 und darüber aus?


Szyszkowitz: Mein Wunschbild ist, dass wir – und damit meine ich alle Kolleginnen und Kollegen in der ganzen EVN Gruppe – gemeinsam, verantwortungsvoll und zielorientiert an der Verwirklichung der Energiezukunft weiterarbeiten. Unsere Strategie 2030 gibt dafür einen klaren und ambitionierten Pfad vor. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch mit unserem Führungsteam die notwendigen Kompetenzen und auch die notwendige Begeisterung dafür mitbringen. 


Wittmann: Um den erfolgreichen Weg der EVN fortzusetzen, bedarf es hoher Flexibilität und Agilität in unserer Organisation sowie verlässlicher und effizienter Prozesse. Hier können die schon mehrfach angesprochene Digitalisierung und der Einsatz von KI einen ganz wesentlichen Beitrag leisten. Außerdem brauchen wir ein solides finanzielles Fundament, damit wir unser umfangreiches Investitionsprogramm wie geplant realisieren können. 


Stallinger: Der Anspruch der Stabilität gilt auch für die operative Performance in allen Unternehmensbereichen – gerade angesichts der veränderten Erzeugungsstrukturen und Verbrauchsmuster. Denn Versorgungssicherheit ist unser zentrales Versprechen an unsere Kund*innen. Dank der Investitionen in unsere erneuerbaren Erzeugungskapazitäten, der Kapazitätssteigerungen und technischen Ertüchtigungsmaßnahmen in unseren Netzen, aber auch unserer umfangreichen Innovationsinitiativen bin ich zuversichtlich, dass wir diese Herausforderung meistern werden.